Der ehemalige Industriepark Griesheim, heute «Frankfurt Westside» genannt, wird bis 2035 zu einem gemischt genutzten Gewerbequartier entwickelt. Der Abbruch vorhandener Bausubstanz erfordert gelegentlich ein besonderes Vorgehen. Das war auch der Fall beim 70 Meter hohen Industriekamin.
Das ehemalige Industriegelände in Frankfurt-Griesheim ist ein geschichtsträchtiger Ort. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts erlangte er vor allem durch die Herstellung chemischer Erzeugnisse Bekanntheit. Im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte errichteten dort etliche namhafte Chemiekonzerne, darunter Hoechst, ihre Werkhallen. Sie entwickelten neue Herstellungsverfahren und entdeckten bis anhin unbekannte Werkstoffe. Und sie hinterliessen Abfallberge. Der berühmteste, weil höchste (bis zu 40 Meter), wird im Frankfurter Volksmund als «Griesheimer Alpen» bezeichnet. Anfang der 1990er Jahre wurde er auf Anweisung des hessischen Umweltministeriums vollständig gesichert, abgedeckt und begrünt.
Heute werden am Standort in Griesheim keine chemischen Erzeugnisse mehr hergestellt. Die Produktion wurde seit den 2010er Jahren sukzessive eingestellt. Dadurch lagen immer mehr Teile des Geländes brach, während das gesamte Areal, verborgen hinter hohen Werksmauern, für die Allgemeinheit weiterhin unzugänglich blieb.
Ein neues Zeitalter
2020 erwarben Swiss Life Asset Managers und BEOS AG den Industriepark Griesheim, tauften ihn «Frankfurt Westside» und entwickeln das 73 Hektar grosse Areal seither zu einem modernen, gemischt genutzten Gewerbequartier. Auch das 1600 Meter lange Mainufer im Süden ist Teil des Entwicklungsprojekts und wird öffentlich zugänglich gemacht. Wo einst Fabriken und Produktionsanlagen standen, entsteht Raum für Neues. Dabei sollen einige historische Gebäude erhalten bleiben, revitalisiert werden und so die Geschichte des Ortes greifbar machen. Dem gegenüber gibt es aber auch etliche Gebäude – vorwiegend rein bauliche Hüllen der einstigen Produktionsanlagen – und Infrastrukturen, die marode und für eine Nachnutzung nicht geeignet sind. Dazu gehört auch ein Stahlbetonschornstein, dessen Abbruch eine besondere, eine schwindelerregende Herausforderung bedeutete.
Abbruch in schwindelerregender Höhe
Der imposante Stahlbetonschornstein entstand Mitte der 1970er Jahre beim Neubau einer Ofenhalle. Hier wurden synthetischer Graphit und Graphitelektroden hergestellt, die beispielsweise zur Erzeugung von Lichtbögen verwendet werden, um Stahlschrott zu schmelzen. Die bei der Produktion entstandenen Rauchgase wurden durch diesen Hochkamin in die Atmosphäre abgeleitet.
Obwohl ein Zeuge des Industriezeitalters, musste das Bauwerk der neuen Quartierentwicklung weichen. Eine kontrollierte Sprengung wäre der schnellste Weg gewesen, kam aber nicht in Frage, weil in unmittelbarer Nähe andere, schützenswerte Gebäude und eine sich weiterhin in Betrieb befindende Trafostation standen. Es musste eine alternative Lösung her. Die wurde in einem ferngesteuerten Abbruchbruchroboter gefunden, der den Kamin Stück für Stück von oben nach unten abtragen sollte.
Nach akribischer Planung war es Mitte April 2024 so weit: Ein Schwerlastkran setzte den 15 Tonnen schweren Bagger auf die Mündung des Schornsteins. Sechs getrennt steuerbare und höhenverstellbare «Spinnenbeine» sorgten für einen sicheren Stand und glichen die unterschiedlichen Höhenniveaus der Abbruchkante aus. Von einer Klettermastbühne aus – dem wohl luftigsten Arbeitsplatz der Frankfurt Westside – steuerte das Bedienungspersonal den Spinnenbagger über Funk. Vorab hatten die Mitarbeitenden eine spezielle Unterweisung durchlaufen, um für die Besonderheiten der Höhenbaustelle gewappnet zu sein. Sicherheit wurde während des gesamten Arbeitsvorgangs grossgeschrieben: Absturzsicherung in der Höhe und abgesperrter Bereich rund um den Stahlbetonschornstein am Boden. Ausserdem wurden täglich ergänzende Gefährdungsbeurteilungen (Last Minute Risk Analysis, LMRA) vor Ort durchgeführt.
Nun wurde der Kamin Stück für Stück abgetragen. Dank des kleinschrittigen Rückbaus liessen sich Staub- und Lärmemissionen effektiv minimieren. Die Rückbauarbeiten dauerten knapp einen Monat. An die tausend Tonnen Betonabbruch fielen dabei an. Er wurde zerkleinert und zur Wiederverwertung weitergeleitet – ein Beitrag zur Förderung der Kreislaufwirtschaft.
Fotos und Videoclip: © Urban Media Project
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