Der Sektor der erneuerbaren Energien verzeichnete in den letzten 20 Jahren ein beeindruckendes Wachstum. Laut der Europäischen Umweltagentur hat sich 2022 sein Anteil am Gesamtenergieverbrauch mehr als verdoppelt: von unter 10% auf 22,5%.
Der Grund für das Wachstum der erneuerbaren Energien liegt nicht nur in den Subventionen, sondern auch in der wettbewerbsfähigen Kostenstruktur, die in den letzten Jahren erreicht wurde. Bei günstigen Ressourcenbedingungen liegen die Kosten aller wichtigen Technologien zur Stromerzeugung aus den Erneuerbaren (Photovoltaik, On- und Offshore-Windparks sowie Wasserkraft) unter den aktuellen durchschnittlichen Strompreisen; die Kosten für neu gebaute Kohle- oder Kernkraftwerke liegen deutlich darüber.
Herausforderungen
Das ist eine vielversprechende Ausgangslage und eine gute Nachricht für den Sektor der erneuerbaren Energien. Doch da sich die Wachstumskurve in jüngster Zeit abgeflacht hat, stellt sich die Frage nach der Attraktivität von Investitionen in Erneuerbare. Dazu vier Schlüsselfaktoren:
- Die Sorge um die zukünftige Entwicklung der Strompreise wächst, insbesondere bei volatilen Erzeugungsarten wie Solar- und Windenergie, die unter Kannibalisierungseffekten leiden. Das heisst, dass in Zeiten grosser Windaufkommen und starker Sonneneinstrahlung niedrige Strompreise und während «Dunkelflauten» hohe Strompreise bei gleichzeitigem Produktionsengpass zu beobachten sind.
- Die administrativen Prozesse, um Projekte im Bereich der Erneuerbaren zu genehmigen, dauern noch immer zu lange und sind mit grossen Unsicherheiten verbunden.
- Es gibt nicht genügend ausgewiesene Flächen für erneuerbare Energien und das «Not in my backyard»-Phänomen erschwert nach wie vor viele Projekte.
- Die Netzinfrastruktur ist nicht auf die grundlegende Veränderung der Stromflüsse vorbereitet, die mit der Energiewende einhergeht.
Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral sein. Schafft sie das, indem sie die oben genannten Herausforderungen meistert? Die Antwort ist ein klares Nein. Strom macht derzeit 23% des europäischen Energiebedarfs aus, während Heizen mit 41% und Brennstoffe mit 36% eine bedeutendere Rolle spielen. Und hier ist der Anteil der Erneuerbaren mit 24% bzw. 5% wesentlich geringer. Die Lösung liegt in der Dekarbonisierung dieser Sektoren – entweder durch Bioenergie oder durch nicht-biologische Quellen. Dabei ist Bioenergie zwar sehr attraktiv, ihr Potenzial wegen der Verfügbarkeit von Rohstoffen jedoch begrenzt. Wenn wir die erneuerbaren Energien ausbauen wollen, führt kein Weg an den nicht-biologischen Lösungen vorbei.
Batterien sind effizient, RFNBOs sind unabdingbar
Technisch gesehen, ist die effizienteste nicht-biologische Lösung die direkte Elektrifizierung. Batterien haben eine Effizienz von 80 bis 90%, was deutlich über derjenigen anderer Technologien liegt. So lassen sich mit Batterien zunehmend fossile Brennstoffe ersetzen, insbesondere bei Autos, Bussen und kleineren Schiffen. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass Langstreckenflugzeuge oder grosse Containerschiffe ausschliesslich mit Batterien betrieben werden. Denn das grösste Manko von Batterien ist ihre geringe Energiedichte und folglich ihr Gewicht. Der Fokus muss daher auf erneuerbaren Kraftstoffen nicht biologischen Ursprungs (RFNBO, Renewable fuels of non-biological origin) liegen. Konkret sprechen wir hier von der Elektrifizierung von Kraftstoffen. Dabei werden Strom und Wasser zur Erzeugung von Wasserstoff verwendet. Dieser kann dann direkt zum Betrieb einer Turbine genutzt oder mit Erdgas gemischt werden. Mit dem Fischer-Tropsch-Verfahren kann Wasserstoff auch mit Kohlendioxid (CO2) verbunden werden, um erdölähnliche Kraftstoffe zu produzieren. Dazu gehören E-Diesel für Lastwagen, E-Methanol für Schiffe und nachhaltiger Luftfahrttreibstoff für Flugzeuge. Eine weitere Möglichkeit bietet das Haber-Bosch-Verfahren, mit dem aus einer Kombination von Wasserstoff und dem Hauptelement von Luft, also Stickstoff (N2), Ammoniak (NH3) erzeugt werden kann. Beide Verfahren haben unbegrenztes Potenzial – vorausgesetzt, genügend Ökostrom steht zur Verfügung. RFNBOs werden daher bei der Energiewende eine zentrale Rolle spielen.
Es braucht Emissionsquoten
Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Sektor RFNBOs fördern und das Problem der Energiewende lösen wird. Die Antwort lautet nein, und zwar deshalb, weil RFNBOs noch immer eineinhalb bis vier Mal teurer sind als fossile Brennstoffe. Marktinterventionen werden deshalb unvermeidlich, selbst wenn man aus ökonomischer Sicht argumentiert. Garrett Hardin machte bereits in seinem 1968 erschienenen Artikel «The Tragedy of the Commons» darauf aufmerksam, dass Güter, die begrenzt, also knapp sind, und nicht vom Konsum ausgeschlossen werden können, also keinen Preis haben, reguliert werden müssen. Ein berühmtes Beispiel ist die Überfischung der Ozeane mit irreversiblen Folgen. Die gleiche Logik gilt für die Luftverschmutzung: Sie hat keinen Preis und jeder kann ohne Folgen die Luft verschmutzen. Laut Nobelpreisträger Ronald Coase braucht es klar definierte Eigentumsrechte, um das Problem dieser externen Effekte zu überwinden. Wir brauchen Emissionsquoten, die mit dem Netto-Null-Ziel 2050 in Einklang stehen. Sobald Emissionsquoten gehandelt werden können, bekommt die Verschmutzung einen Preis und der Markt orientiert sich daran. Wenn die Kosten genügend hoch sind, werden RFNBOs wettbewerbsfähig. Und die billigsten und effizientesten RFNBOs werden das Rennen machen.
Die Europäische Union und in gewissem Umfang auch die internationale Gemeinschaft haben diese Tatsache erkannt und damit begonnen, verbindliche Ziele vorzuschreiben. So verlangt die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), dass 5% der in der Schifffahrt verbrauchten Energie bis 2030 aus emissionsarmen Energiequellen stammen. Die Internationale Zivilluftfahrtsorganisation (ICAO) verfolgt ähnliche Ziele und will zunächst die CO2-Emissionen von 2020 stabilisieren und bis 2050 Netto-Null erreichen. Die freiwillige Phase begann 2021, die obligatorische beginnt 2027. Solche Emissionssenkungsquoten werden immer notwendiger und das EU Emissionshandelssystem (EU-ETS) soll gewährleisten, dass die Emissionen innerhalb der Europäischen Union auf die kostengünstigste Weise reduziert werden.
Bei Swiss Life Asset Managers kommen wir zu dem Schluss, dass Netto-Null-Ziele erreichbar sind, wenn neben der Stromwende auch Heizung und Kraftstoffe berücksichtigt werden. Zudem werden RFNBOs nur dann wettbewerbsfähig, wenn die Verwendung erneuerbarer Kraftstoffe vorgeschrieben und die Umweltverschmutzung angemessen bepreist wird. Die Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft scheinen in die richtige Richtung zu gehen. Auch wenn wir dies anerkennen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass der derzeitige Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nur ein sehr kleiner Schritt ist im Vergleich zum Sprung, der noch folgen muss. Aber mit den richtigen Rahmenbedingungen wird der Sektor der Erneuerbaren in der Lage sein, die effizienteste Lösung für die Energiewende zu finden.